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Der Bundesrat


Letzte redaktionelle Bearbeitung :   26.10.2003
Stand der inhaltlichen Bearbeitung :   Sommer 1995
Quelle :   AmigaGadget#20

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderaler Staat, d.h. ein politisches Gebilde, das in verschiedene Bundesländer aufgeteilt ist. Diese sind zunächst die eigentlichen Gestalter der politischen Umwelt der Bürger. Doch schon aus Artikel 31 des Grundgesetzes ergibt sich: "Bundesrecht bricht Landesrecht". Die Exklusivität der Landespolitik hat sich auf die Bereiche der Kultur- und Bildungspolitik sowie die Organisation der Polizei begrenzt. Und auch hier findet - dank der Konferenzen der Kultus- bzw. der Innenminister - zunehmend eine Vereinheitlichung statt. Wie können nun die Bundesländer auf die im Bonner Bundestag gestaltete Politik, die auch teilweise vitale Interessen der Länder betrifft, Einfluß nehmen ? Das wohl effektivste Mittel dazu scheint die sogenannte Länderkammer, der Bundesrat zu sein.


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I. Die Geschichte des Bundesrates

Fast die gesamte Geschichte eines deutschen Staatsgebildes wird von einer institutionalisierten Mitwirkung der einzelnen Länder durchzogen. Schon die Frankfurter Paulskirchenversammlung von 1848/49 sah eine zweite Parlamentskammer (das "Staatenhaus") vor, die gleichberechtigt mit der ersten (dem "Volkshaus") den Reichstag bilden sollte. Im Deutschen Kaiserreich (ab 1871) existierte dann sogar bereits ein "Bundesrat", in dem die Vertreter der Länderregierungen saßen. Da er jedoch unter preußischer Hegemonie stand, diente er vornehmlich dazu, unerwünschte Gesetzesbeschlüsse des Reichstages zu Fall zu bringen. Eine eigene, gleichberechtigte Parlamentskammer stellte er nicht mehr dar. Noch weniger direkten Einfluß hatte dann der "Reichsrat" der Weimarer Republik, in dem Mitglieder der einzelnen Landesregierungen saßen und der lediglich über ein vom Reichstag überstimmbares Einspruchsrecht besaß.

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In die Verfassungsdiskussion nach dem zweiten Weltkrieg fanden dann hauptsächlich zwei Modelle Eingang: einmal das dem "Reichsrat" zugrunde liegende Modell einer Vertretung der Länderregierungen und zum anderen ein am amerikanischen Senat orientiertes Modell einer durch Wahlen zusammengesetzten zweiten Parlamentskammer. Entschieden hat man sich - bedingt vor allem durch die Präferenz der CDU/CSU - für eine modifizierte Neuauflage des "Reichsrates" - den Bundesrat, der keine "Länderkammer" sondern vielmehr ein aus Mitgliedern der Landesregierungen zusammengesetztes oberstes Staatsorgan des Bundes darstellt.


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II. Die Organisation des Bundesrates

Der Bundesrat besteht aus Mitgliedern der einzelnen Länderregierungen, die von diesen dazu bestellt werden. Es ist jedoch möglich, daß alle Stimmrechte eines Landes im Bundesrat von nur einem Vertreter der Landesregierung wahrgenommen werden. Aus diesem Grund - und um nicht ständig Minister von der Arbeit in ihrem Fachbereich abzuhalten - haben viele Länder einen eigenen Ministerposten für Bundesratsangelegenheiten eingerichtet. In Bayern heißt dieses Amt beispielsweise "Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten", in Baden-Württemberg ist es ein "Staatssekretär in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund", in Bremen der "Senator für Bundesangelegenheiten der Freien Hansestadt Bremen", in Nordrhein-Westfalen der "Minister für Bundesangelegenheiten" und so weiter. Bei der Anzahl der jeweiligen Stimmen wurde ein Mittelweg zwischen Bevölkerungsabhängigkeit (die kleine Länder wie Bremen, das Saarland oder Hamburg zur Einflußlosigkeit degradiert und eine Vormachtstellung des 16 Millionen Einwohner zählenden Nordrhein-Westfalen zementiert hätte) und gleicher Stimmzahl (die dazu geführt hätte, daß Nordrhein-Westfalen lediglich über denselben Einfluß wie das kleine Bremen verfügt hätte) beschritten.

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Die Mindestzahl der Sitze, die ein Land im Bundesrat für sich beanspruchen kann, beträgt zur Zeit drei. Bei über zwei Millionen Einwohnern hat ein Land ein Anrecht auf vier, bei über sechs Millionen auf fünf und bei über sieben Millionen Einwohnern sogar auf sechs Bundesratssitze. Daraus ergibt sich momentan folgendes Bild:

BundeslandBundesratsstimmen (Gesamt: 69)
Nordrhein-Westfalen6
Bayern6
Baden-Württemberg6
Niedersachsen6
Hessen5
Sachsen4
Rheinland-Pfalz4
Berlin4
Sachsen-Anhalt4
Thüringen4
Brandenburg4
Schleswig-Holstein4
Mecklenburg-Vorpommern3
Hamburg3
Saarland3
Bremen3

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Problematisch wird das Stimmverhalten bei Koalitionsregierungen, der realpolitischen Wirklichkeit in den meisten Bundesländern. Damit der Bundesrat wirklich als Vertretung der Länder gelten kann, ist es den einzelnen Regierungsvertretern eines Landes untersagt, uneinheitlich abzustimmen. Geschieht dies dennoch, so sind alle Stimmen des betreffenden Bundeslandes ungültig. Um das zu vermeiden, wird per Beschluß der Landesregierungen das Stimmverhalten der Mitglieder im Bundesrat festgelegt. Gibt es jedoch innerhalb der Landes-Koalitions-Regierungen Streitigkeiten über eine bestimmte Frage, so sehen die Koalitionsverträge zumeist eine Stimmenthaltung im Bundesrat vor (besonders bedeutsam ist dies vor allem bei Großen Koalition (SPD und CDU)).

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Organe des Bundesrates sind :

  • der Bundesratspräsident,
  • die Bundesratsausschüsse und
  • die bei Bedarf zu bildende Kammer für Angelegenheiten der Europäischen Union.


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1. Der Bundesratspräsident

Der Bundesratspräsident wird jährlich neu gewählt. Seit dem "Königsteiner Abkommen" vom 30.08.1950 ist diese Wahl jedoch nur noch reine Formsache, da das Amt des Bundesratspräsidenten turnusmäßig zwischen den Ministerpräsidenten der Länder wechselt. Dieses Verfahren ist inzwischen als Verfassungsgewohnheitsrecht anerkannt. Funktional hat das Amt keine große Bedeutung, allerdings ist der Bundesratspräsident Stellvertreter des Bundespräsidenten, so daß er in Krisensituationen eventuell doch einige bedeutende Aufgaben zu erfüllen hat.


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2. Die Bundesratsausschüsse

In ihnen findet die Entscheidungsfindung des Bundesrates statt, die die alle drei Wochen stattfindenden Plenarsitzungen des Bundesrates vorbereiten und in gewissem Maße auch vorentscheiden. In den sechzehn Bundesratsausschüssen lassen sich die Regierungsmitglieder der Länder duch Beamte ihrer Ministerien vertreten, die in die Materie eingearbeitet sind und im Rahmen der Weisungen ihrer Ressortchefs über die zu beratenden Vorlagen verhandeln.


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3. Die Kammer für Angelegenheiten der Europäischen Union

Zur Beschlußfassung in europäischen Fragen kann der Bundesrat seit Ende 1992 dieses Unterorgan einrichten, das prinzipiell wie der eigentliche Bundesrat einzurichten ist. Mitglieder können auch nur Bundesratsmitglieder sein, die Länderstimmen können jedoch nach wie vor vertreten werden, so daß die typische Stärke der Kammer 16 Mitglieder betragen dürfte. Beschlüsse der Kammer haben dieselbe Wirkung wie Beschlüsse des Bundesrates. Aufgrund mangelnder praktischer Erfahrung mit diesem Institut kann über seine zukünftige Bedeutung nur spekuliert werden.


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III. Die Funktionen des Bundesrates

Die (Mit-)Arbeit des Bundesrates wird vor allem in vier Bereichen wichtig :

  • Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes
  • Beteiligung an Regierung und Verwaltung des Bundes
  • Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union
  • Beteiligung an allgemeinen politischen Aufgaben

Die größte Öffentlichkeitswirksamkeit erzielt dabei naturgemäß die Mitwirkung an der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes, da das die Punkte sind, in denen Interessen der Bundesregierung und der Länderregierungen aufeinandertreffen und es - bei unterschiedlichen parteipolitischen Mehrheiten - zur politischen Auseinandersetzungen


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1. Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes

Bei der Gesetzgebung wirkt der Bundesrat auf verschiedenen Stufen und innerhalb nicht ganz einfacher Mechanismen mit. Zunächst besitzt der Bundesrat genau wie die Bundesregierung und der Bundestag das Initiativrecht für Gesetzesvorlagen, d.h. er kann dem Parlament Gesetzesvorschläge zur Beratung vorlegen. Über deren Erfolg oder Mißerfolg entscheidet aber letztlich einzig und alleine der Bundestag. Somit kommt dem Initiativrecht der Bundesrates keine überragende politische Bedeutung zu. Weitaus wichtiger sind seine Gestaltungsrechte bei vom Bundestag beschlossenen Gesetzen. Hier muß man jedoch unterscheiden, ob es sich um zustimmungsbedürftige oder nur um Einspruchsgesetze handelt. Ist nämlich Zustimmungsbedürftigkeit gegeben, muß der Bundesrat dem Gesetz zustimmen - ansonsten ist es gescheitert und tritt nicht in Kraft. Ein Einspruchsgesetz hingegen wird an den Bundestag zurückverwiesen und kann von diesem erneut bekräftigt werden, das Einspruchsgesetz also auch gegen den Willen des Bundesrates in Kraft treten. Bevor man sich also mit den unterschiedlichen Instrumentarien des Einspruchs und der Zustimmung beschäftigen kann, muß zunächst einmal geklärt werden, um was für ein Gesetz es sich bei der jewiligen Vorlage handelt. Aufgrund der unterschiedlichen Eingriffsmöglichkeiten des Bundesrates wird diese Unterscheidung mitunter sehr kontrovers diskutiert. Grundsätzlich gilt, daß Gesetze, die Länderinteressen nachhaltig berühren, zustimmungsbedürftig sind. Dies hilft jedoch nicht viel weiter, bleibt doch die Frage offen, was unter "nachhaltig" zu verstehen ist. In der Praxis sind Gesetze in folgenden Bereichen als unbestritten zustimmungsbedürftig angesehen worden :

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  • Verfassungsänderungen
  • Gesetze, die durch die Bundesländer auszuführen sind und Regelungen enthalten, die in die Verwaltungsverfahren und Organisation der Länderbehörden eingreifen
  • Gesetze, die Steuern mit Länderanteilen, den Finanzausgleich und die Finanzverwaltung betreffen
  • Gesetze, die Gebietsstände verändern

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Natürlich sind auch hier Streitigkeiten Tür und Tor geöffnet - beispielsweise in der Frage, was unter einem "Eingriff" in die Organisation der Länderbehörden zu verstehen ist. Ebenfalls sehr kontrovers diskutiert wird die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen, die lediglich bereits in Kraft getretene zustimmungsbedürftige Gesetze ändern. Unbestritten ist selbstverständlich, daß ein solches Gesetz zustimmungsbedürftig ist, wenn es Vorschriften ändert, die die Zustimmungsbedürftigkeit ursprünglich begründet haben oder wenn es selbst eindeutig zustimmungsbedürftige Vorschriften enthält. Problematisch wird es jedoch bei erheblichen Änderungen von an sich nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzesteilen, die dem bereits in Kraft getretenen Gesetz inhaltlich eine völlig neue Bedeutung geben. Das Verfassungsgericht hat - in einer mit 4:4 Stimmen gefallenen Entscheidung - festgestellt, daß ein Änderungsgesetz bereits dann zustimmungsbedürftig sei, "wenn durch die Änderung materiell-rechtlicher Normen die nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren bei sinnorientierter Auslegung ihrerseits eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erfahren". Da auch hier erneut viele auslegungsbedürftige Formeln enthalten sind, darf für die Zukunft bei umstrittenen Gesetzesänderungen mit weiteren Streitigkeiten über diese Abgrenzung gerechnet werden.


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a) Die Beteiligung des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen

Das Zustandekommen von Einspruchsgesetzen wird zunächst lediglich negativ definiert. Erhebt der Bundesrat nach dem Gesetzesbeschluß durch den Bundestag innerhalb von drei Wochen keinen Einspruch oder stimmt er dem Gesetz ausdrücklich zu, so gilt es als ordnungsgemäß zustande gekommen. Hat der Bundesrat jedoch Einspruch erhoben, gelangt die Gesetzesvorlage in den Vermittlungsausschuß. Dieser ist ein Gremium, in dem je ein Mitglied jeder Landesregierung und gleichviele nach Verhältnis gewählte Bundestagsabgeordnete sitzen, und das die Aufgabe hat, einen sowohl für Bundesrat als auch Bundestag akzeptablen Kompromiß auszuarbeiten - quasi eine institutionalisierte Schiedsstelle. Erarbeitet der Vermittlungsausschuß nun einen Einigungsvorschlag, gelangt dieser zunächst in den Bundestag. Stimmt dieser dem Kompromiß zu oder ist es erst gar nicht zu einer Einigung gekommen, kommt es zur endgültigen Beschlußfassung im Bundesrat. Erfolgt hier kein weiterer Einspruch, ist das Gesetz ordnungsgemäß zustande gekommen. Ansonsten landet das Einspruchsgesetz erneut im Bundestag, der nun den Einspruch des Bundesrates mit entsprechender Mehrheit zurückweisen kann. Das bedeutet, daß normalerweise die absolute Mehrheit der Bundestagsabgeordneten den Einspruch überstimmen muß. Hat der Bundesrat jedoch mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder den Einspruch eingelegt, ist im Bundestag ebenfalls eine zwei Drittel-Mehrheit notwendig. Hierfür sind jedoch die anwesenden Abgeordneten entscheidend - die absolute Mehrheit der Bundestagsabgeordneten darf dabei selbstverständlich nicht unterschritten werden. Wird der Einspruch des Bundesrates qualifiziert zurückgewiesen, ist das Einspruchsgesetz auch gegen den Mehrheitswillen des Bundesrates ordnungsgemäß zustande gekommen, ansonsten gilt es als gescheitert.


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b) Die Beteiligung des Bundesrates bei Zustimmungsgesetzen

Bei der Verabschiedung dieser Gesetze ist der Bundesrat dem Bundestag gleichgestellt, ohne seine Zustimmung kann das Gesetz nicht zustande kommen. Das zustimmungsbedürftige Gesetz wird zunächst vom Bundestag verabschiedet. Nun ist es am Bundesrat, über Zustimmung oder Verweigerung der Zustimmung/Ablehnung zu entscheiden. Stimmt er zu, ist das Gesetz zustande gekommen. Stimmt er nicht zu, hat er die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Unterläßt er dies, können immer noch der Bundestag oder die Bundesregierung den Vermittlungsausschuß anrufen. Geschieht auch das nicht, ist das Gesetz gescheitert. Im Regelfall wird das zustimmungsbedürftige Gesetz jedoch beim Vermittlungsausschuß landen. Dieser erarbeitet nun einen Kompromißvorschlag, der dann nach Beschlußfassung des Bundestages über die Änderungen dem Bundesrat vorgelegt wird, oder er reicht das ungeänderte Gesetz erneut beim Bundesrat ein. Die endgültige Beschlußfassung über das - entweder im Vermittlungsausschuß geänderte oder nach wie vor gleichlautende - Gesetz findet dann im Bundesrat statt. Stimmt er ihm zu, ist es zustande gekommen. Ansonsten ist das Gesetz gescheitert und tritt nicht in Kraft. Eine Möglichkeit des Bundestages, diese Entscheidung zu überstimmen, existiert nicht.


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2. Beteiligung an Regierung und Verwaltung des Bundes

Nicht nur die Arbeit der Legislative (= des Bundestages) kann in die Belange der Bundesländer elementar eingreifen. Auch durch Akte der Exekutive (= vor allem der Bundesregierung) können Interessen der Länder erheblich tangiert sein. Aus diesem Grund ist der Erlaß manche Rechtsverordnungen und allgemeiner Verwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung nur mit Zustimmung des Bundesrates möglich. Dies gilt insbesondere für

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  • Rechtsverordnungen, die aufgrund eines zustimmungsbedürftigen Gesetzes erlassen werden - unabhängig davon, wenn die Verordnungsermächtigung innerhalb des Gesetzes selbst nicht zustimmungsbedürftig gewesen wäre
  • Rechtsverordnungen, die aufgrund von Gesetzen, die von den Ländern ausgeführt werden, erlassen werden
  • Rechtsverordnungen über Angelegenheiten der Bundesbahn und des Post- und Fernmeldewesens
  • sämtliche allgemeinen Verwaltungsvorschriften

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Es ist jedoch möglich, die Zustimmungsbedürftigkeit mittels eines Gesetzes, das mit der Zustimmung des Bundesrates verabschiedet wird, auszuschließen. Interessanterweise spricht das Grundgesetz hier von "anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung", schließt also rein sprachlich auch die Möglichkeit ein, die Zustimmungsbedürftigkeit von Rechtsverordnungen per Einspruchsgesetz - also ohne gleichwertige Beteiligung des Bundesrates - auszuschließen. Dies wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht als Redaktionsversehen betrachtet und somit - dem Sinn der Zustimmungsbedürftigkeit entsprechend - dem Bundesrat die Mitentscheidung über die Zustimmungsbedürftigkeit der oben erwähnten Rechtsverordnungen zugesprochen.


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3. Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union

Dieser Mitwirkungsbereich des Bundesrates ist noch relativ neu und es liegen keinerlei praktische Erfahrungswerte vor. Durch die Neufassung des Artikel 23 GG ist die Mitwirkung des Bundesrates dann erforderlich, wenn er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder die Länder selbst zuständig wären. Es kommt darüberhinaus auf den Grad der Beeinträchtigung der Länderinteressen an: Besitzt der Bund Gesetzgebungskompetenz, so ist lediglich die Stellungnahme des Bundesrates zu berücksichtigen. Sind jedoch weitergehende Belange der Bundesländer, also Gesetzgebungsbefugnisse, Verwaltungsverfahren oder Behördenorganisation betroffen, ist die Auffassung des Bundesrates "maßgeblich" zu berücksichtigen. Und sind im Schwerpunkt ausschließlich Gesetzgebungskompetenzen der Länder von den europapolitischen Entscheidungen betroffen, wird die Wahrnehmung der Rechte der Bundesrepublik auf einen vom Bundesrat zu benennenden Vertreter der Länder delegiert.

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Wie sich diese Verfahrensvorschriften und die Einrichtung einer Kammer für Angelegenheiten der Europäischen Union in der Praxis auswirken werden, ist schwer absehbar und wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Zumindest besteht nun ein verfassungsrechtliches Instrumentarium, um Gefahren für den Föderalismus, die durch die europäische Integration drohen könnten, institutionell vorbeugen zu können.


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4. Beteiligung an allgemeinen politischen Aufgaben

Über die bisher beschriebenen Mitwirkungsfunktionen hinaus nimmt der Bundesrat weitere politische Aufgaben wahr. Unter anderem stellt er ein Drittel der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses (= das Notstandsparlament im Verteidigungsfall). Im Falle eines Gesetzgebungsnotstandes, d.h. bei Entzug des Vertrauens des Bundestages in den Bundeskanzler ohne Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten (s. Artikel 81 GG), kann der Bundesrat sogar als Ersatzgesetzgeber wirken. Darüberhinaus ist er in vielen Fällen beim Bundesverfassungsgericht antragsberechtigt - vom Parteiverbot über die Organklage bis hin zur Präsidentenanklage. Auch bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts spielt der Bundesrat eine gewichtige Rolle. Er wählt die eine Hälfte der Verfassungsrichter, wobei 2/3-Mehrheiten notwendig sind.


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IV. Der Bundesrat im politischen System der BRD

In der Praxis hat der Bundesrat als "Transmissionsriemen für die Unitarisierung der Bundesrepublik" (Georg Fabritius) gewirkt. Aufgrund der Mitspracherechte in Bundesangelegenheiten ist die parlamentarische Mehrheit an einer ihr entsprechenden Bundesratsmehrheit und die Opposition an einer Möglichkeit der Einflußnahme auf Regierungsentscheidungen interessiert. Somit werden Landtagswahlen oftmals zu bundespolitisch geprägten Entscheidungen für oder gegen die Parlamentsmehrheit - ein Element, daß sich besonders seit 1970 verstärkt herauskristallisiert hat. Es sei an die CDU/CSU-Bundesratsmehrheit in Zeiten der sozialliberalen Bonner Koalition und an die jetzige Vormachtstellung der SPD im Bundesrat erinnert. Darüber hinaus werden somit - bis auf wenige Ausnahmen wie die SPD/FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz - die Koalitionen auf Länderebene durch die Bundespolitik bestimmt - das unitarisierende Element des Bundesrates kommt hierin zum Ausdruck.

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Bedingt durch den teilweise großen Einfluß der Bundesratspolitik sind die föderalen Motive für Bundesratsentscheidungen zugunsten parteipolitisch geprägten Verhaltens zurückgegangen. Teilweise wird die Bundesratsmacht von den Bonner Oppositionsparteien (sei es Kiesingers CDU in den 70er Jahren oder Lafontaines SPD) dezidiert als parteipolitische Einflußmöglichkeit auf Regierungsentscheidungen gesehen.

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Dennoch ist der Bundesrat bisher nicht zu einem Element der Verhinderung politischer Entscheidung, zu einem Obstruktionsinstrument, geworden. Vielmehr haben über ihn konkordanzdemokratische Elemente in das deutsche Regierungssystem Einzug gefunden - Entscheidungen werden, unabhängig von der gerade vorherrschenden Bonner Machtkonstellation, größtenteils nur noch innerhalb eines breiten überparteilichen Konsens getroffen. Dies gilt zumindest in den Bereichen, in denen die Bundesregierung auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen ist. Auf der anderen Seite wird zusehends versucht, Gesetze so zu konstruieren, daß sie nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Das geht sogar soweit, daß inzwischen Gesetze sogar in einen materiell-rechtlichen, der den Bundesrat lediglich die Möglichkeit zum Einspruch gibt, und einen zustimmungsbedürftigen verfahrensrechtlichen Entwurf aufgeteilt werden, wobei die politisch brisanten Fragen, die im den materiell-rechtlichen Bereich betreffenden Gesetz geregelt sind, letztlich auch ohne Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden können.

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Eine weitere interessante Entwicklung könnte sich auch aus der Stellung der neuen Bundesländer ergeben, deren Bundesratsvertreter zwar parteipolitisch von unterschiedlicher Couleur sind, die jedoch teilweise sehr ähnlich gelagerte Interessen zu vertreten haben.

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Auf jeden Fall stellt der Bundesrat deutscher Prägung ein in der Welt wohl einmaliges Staatsorgan dar, das sowohl die Arbeit der Legislative als auch der Exekutive und des obersten Gerichtes teilweise erheblich mitbeeinflussen kann. Seine eigentliche Aufgabe, der Schutz des Föderalismus vor bundesstaatlicher Aushöhlung, ist jedoch teilweise hinter allgemein politische Auseinandersetzungen bis hin zur Parteipolitik zurückgetreten ohne daß er dabei jedoch zum Politik verhindernden Instrument geworden wäre.

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Verwendete Literatur:

 
Baratta, Mario von (Hrsg.)
Der Fischer Weltalmanach 1994, Frankfurt am Main 1993
 
Ipsen, Jörn
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht, 6. Auflage, Neuwied / Kriftel / Berlin 1994
 
Rudzio, Wolfgang
Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage, Opladen 1991


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